Mies hat sich als einer der wenigen modernen Architekten die Frage gestellt, wie sich unter der Prämisse der Abstraktion Lebendigkeit und Anschaulichkeit als architektonische Qualitäten erzeugen lassen. Seit den Tagen von Mies hat diese Frage an Aktualität nichts verloren. Wir begegnen in der zeitgenössischen Architektur immer noch „toten Kisten“ en masse und einer Architektur, die Lebendigkeit mit kurvenden plastischen Spektakeln verwechselt. Beiden ist Phantasiearmut in Bezug auf spezifisch architektonische Ausdrucksmöglichkeiten gemeinsam. Denn in der Baukunst geht es um mehr als nur das banale Bauen im technischen, funktionalen oder ökonomischen Sinn; aber auch nicht darum, um des lebendigen Ausdrucks willen, konstruktive Verrenkungen und funktionaler Klimmzüge zu vollziehen. Architektonisches Gestalten heißt nicht, ein Gebäude als banale Kiste oder begehbare Skulptur zu begreifen, sondern den inneren Zusammenhang von Zweck, Konstruktion und Form im Raum in eine sinnvolle Form zu übersetzen. Mies war durch und durch ein architektonischer Architekt. Er vertrat die Überzeugung, dass ein Architekt seine Ausdrucksmittel in der Architektur suchen und finden müsse, also im Architektonischen selbst und dessen ästhetischem Potential. Den Ausdruck des Lebendigen zu erzeugen, war in der Architektur, die keine abbildende Kunst ist, schon immer eine Herausforderung. Unter dem Gebot der Abstraktion, das die moderne Architektur des 20. Jahrhunderts zum obersten Gestaltungsgesetz erhebt, gilt dies in verschärftem Maße. (Fritz Neumeyer)
10.04.–25.09.2022
Eigens für die Ausstellung im Mies van der Rohe Haus hat der Düsseldorfer Maler Max Frintrop (*1982) eine Reihe großformatiger Gemälde geschaffen. Diese werden in der Schau kombiniert mit kleineren vom russischen Konstruktivismus inspirierten Reliefs. Lebendiges wird in Abstraktes geführt und umgekehrt. Weiche Pinselstriche beruhen auf einer geometrisch-abstrakten Sprache. Beim Malen geht Frintrop planvoll und sensibel vor, deutet Räume an, wenn er gedachte Linien, Flächen und Tiefen übereinander lagert. Seine Ausstellung ist gleichsam eine Hommage an die Architektur des Gebäudes, dessen fließende und sich nach dem Garten hin öffnende Räume.
10.04.–25.09.2022
Mit der Serie Verstärker realisiert Gerold Miller (*1961) seit 2016 freistehende Skulpturen. Diese fest auf dem Boden ruhenden Körper sind auf ihre Höhe, Breite und Tiefe reduziert und visualisieren so die Grundbedingungen von Skulptur: Material, Masse und Dimension. Die charakteristische formale Klarheit öffnet sie der Unendlichkeit des Raums, lotet dessen imaginäre Grenzen aus. Ihre Eindeutigkeit, ihre variierenden Dimensionen und materiellen Beschaffenheiten verleihen den Verstärkern eine ausgeprägte körperliche wie auch sinnliche Präsenz. Die reflektierenden Körper der aus Metall hergestellten Skulpturen lassen überraschende optische Eindrücke entstehen, in denen sich Boden, Decke, gegenüberliegende Wände oder auch Außenräume auf irritierende Weise miteinander verbinden und den Raum nahezu labyrinthisch neu ordnen. Sie involvieren den zufälligen Betrachter über ihre spiegelnden Oberflächen in diesen Vorgang und lassen ihn dabei für einen flüchtigen Moment zum Akteur werden.
09.10.2022–26.03.2023
Im Zwischenreich von Architektur und Kunst machte Mies van der Rohe drei Vorschläge zur modernen Erinnerungskultur. Mit dem Bismarckdenkmal (1910), dem Revolutionsdenkmal (1926) und dem Entwurf für ein Ehrenmal in der Neuen Wache (1930) präzisierte der Architekt räumliche Erinnerungswelten zwischen persönlicher und kollektiver Bildfindung. Mies war ein Formenfinder, aber mehr noch als die reine Form erforschte er das Verhältnis zwischen Raum und Geist. Seine Denkmalprojekte, ob zerstört oder nie gebaut, waren wegweisende Entwürfe, die heute nur im Bild erhalten sind. Begleitend zur Ausstellung erscheint Band 7 der Schriftenreihe des Mies van der Rohe Hauses.
Kuratoren: Simon Behringer, Jan Maruhn, Dietrich Neumann